#006 - Die Zukunft des Profifußballs
Noch vor wenigen Wochen, genauer am 18. Februar, als sich das Corona-Virus schon langsam über die globalisierte Welt ausbreitete, schien die Welt des Profifußballs in Deutschland noch in Ordnung. Es war der Tag der jährlichen Vorstellung des Bundesligawirtschaftsberichtes und es war überdies eine im wahrsten Wortsinn makellose Bilanz.
In der Saison 2018/19 erlösten die 36 Erst- und Zweitligisten zusammen 4,8 Mrd. €. Erstmals überstiegen allein die Erlöse der Erstligisten die Marke von 4 Mrd. Euro, womit über 80% der Gesamterlöse der Bundesligen auf die Erstligisten entfallen. Ein vermeintliches Ungleichgewicht, auf welches wir noch zurückkommen werden. Angesichts des von Christian Seifert als Liga-Geschäftsführer verkündeten 15. Umsatzrekord in Folge, gestiegene Eigenkapitalquoten quer durch beide Bundesligen, ein neuer kumulierter Jahresüberschuss allein der Erstligisten von fast 130 Mio. € und Steigerungen bzw. Rekordstände im Hinblick auf alle Kennzahlen.
Doch „Corona“ brachte nach jahrelangen Erfolgen und Erfolgsmeldungen nun nicht nur die bisher selten gefragten Krisenmanagerqualitäten Christian Seiferts zu Tage, die Pandemie und ihre wirtschaftlichen Auswirkungen sind zum „Stresstest“ für den deutschen Profifußball geworden; eine 15 Jahre andauernde Entwicklung scheint jäh beendet. Spätestens mit Bekanntwerden akuter Insolvenzgefahr sogar einiger Erstligisten kristallisiert sich die Erkenntnis heraus, dass das System Profifußball kaum ausreichend Reserven besitzt, den Ausfall von ca. 20% des Gesamtumsatzes einer Saison unter gleichzeitiger Reduzierung entsprechender Kostenblöcke aufzufangen.
Auch aus diesem Grund scheint es verständlich, dass sich die Erst- und Zweitligisten in Aussicht auf die ausstehenden TV-Gelder geschlossen zeigen und in Form von „Geisterspielen“ die Saison sportlich beenden wollen. An dieser Stelle positioniert sich ein Teil der 3. Liga differenziert, denn die ohnehin meist angespannte finanzielle Situation dürfte sich angesichts deutlich geringerer TV-Einnahmen selbst bei Fortführung der Liga kaum ändern. Dafür klafft insbesondere zwischen der 2. Bundesliga und der 3. Liga eine zu große finanzielle Lücke. Ein Beispiel:
Erhält das Schlusslicht im TV-Ranking der 2. Liga für die Saison 2019/20 immerhin ca. 7,3 Mio. €, darf ein Club der 3. Liga in der laufenden Saison noch nicht einmal eine Mio. € an TV-Geldern im Budget einplanen. So verzeichneten Clubs der 3. Liga in den vergangenen drei Spieljahren im Durchschnitt einen Fehlbetrag von knapp 0,75 Mio. € pro Saison (nur die Saison 2018/2019 betrachtet sogar 1,5 Mio. € pro Club). Dabei liegt die Quote für die Personalkosten im Spielbetrieb (Spieler, Trainer und Funktionspersonal) der vergangenen drei Spielzeiten bei ca. 40% - gegenüber ca. 32% in der 2. Bundesliga und ca. 35% in der Bundesliga.
Verständlich also, dass Clubs der 3. Liga, um sich die Erlösströme im DFL-Verbund zu sichern, tendenziell stärker ins Risiko gehen, um eben jenes Ziel zu erreichen – aber kein gesundes Element für den Profifußball.
Die Erkenntnis, dass das System Profifußball einer Überprüfung und Entwicklung einer neuen Vision bedarf, scheint nun im Zuge der Krise auch bei der DFL und ihren Clubs Konsens zu sein. Es stellt sich nun die Frage, welche Stellschrauben der DFL und den Clubs zur Verfügung stehen, um dem dieser Tage fast schon inflationär gebrauchten Sinnspruch, die Krise als Chance zu verstehen, wirkliche Substanz zu verleihen.
Aus unserer Sicht sollte zunächst eine Differenzierung dahingehend stattfinden, inwieweit Reformbemühungen wirklich das grundsätzliche Geschäftsmodell des Fußballs betreffen sollten und an welcher Stelle im Vorfeld zunächst die Clubs eigene bzw. bisherige Strategien hinterfragen und ihr Risikomanagement optimieren könnten. Dabei sollten diese Maßnahmen der Clubs unbedingt über den Horizont dieser Krise gedacht und geplant werden, wenngleich diese deren Ausgangspunkt darstellt. Hierzu zählen wir:
Weitergehende Analyse der Kostenstrukturen und Einbindung der Potentiale in mehrjährige Business-Case-Szenarien.
In Szenarien denken und planen – hierzu Steuerungsinstrumente entwickeln bzw. ausbauen.
Überprüfung der Rechtestrukturen in allen Geschäftsfeldern.
Strategische Geschäftsmodelloptimierung (z.B. Make orBuy).
Benchmarking und Best-Practise.
Die Digitalisierung als Chance zur Geschäftsfeldoptimierung.
Diese bzw. einige dieser Gedanken bilden möglicherweise bereits die Grundlage auch für eine anstehende Überprüfung des Geschäftsmodells des gesamten Profifußballs in Deutschland. Wir können dabei folgende Themenbereiche identifizieren. Lassen Sie uns im Sinne einer offenen Diskussion darüber hinaus einige – durchaus provokante – Thesen aufstellen:
Themenfelder:
1. Maßnahmen im Rahmen der Lizenzierung:
In der Lizenzierung findet die Überprüfung sportlicher, rechtlicher, administrativ/personeller, infrastruktureller und finanzieller Kriterien statt. Inwieweit können die Clubs bereits mit der Beantragung der Lizenz bzw. durch Lizenzierungsvorgaben dem Ziel einer Neupositionierung dienen?
Finanzielle Voraussetzungen:
Sportliche Voraussetzungen:
Weitere Voraussetzungen:
2. Regulierung des Transfermarktes:
Neben den Spielern, den abgebenden und dem aufnehmenden Club haben sich auch die Spielerberater zu einer maßgeblichen Interessengruppe entwickelt. Ein
pauschales Verurteilen dieser Personengruppe ist jedoch unangebracht und führt zu kurz. Es muss vielmehr um eine tragfähige Gesamtlösung gehen, die die
Berater einschließt, denn in diesem Bereich stehen die härtesten Eingriffe in die Vertragsfreiheit zur Diskussion. Die Erarbeitung geeigneter bzw. belastbarer Rechtspositionen sind hierfür Voraussetzung.
3. Stärkung des Wettbewerbs:
Mit Bayern München gab es in der Bundesliga seit 2013 nur einen Titelträger. Es besteht die Gefahr, dass sich eine Wirkungskette in Gang setzt und fehlender
oder vorhersehbarer sportlicher Wettbewerb die Gefahr des schwindenden Zuschauerinteresse nach sich zieht. Lag in den vergangenen Jahrzehnten die
Anzahl der unterschiedlichen Meister im Durchschnitt bei 5 Clubs, gab es im zurückliegenden Jahrzehnt erstmals nur noch zwei verschiedene Titelträger. Das
bestehende Ligensystem bietet somit vielen Clubs offensichtlich nur noch eingeschränkte Chancen. Maßnahmen zur Neuordnung des Profifußballs in Deutschland könnten daher sein:
4. Bewahrung des Fußballs als Teil der Gesellschaft:
Der Profifußball hat sich im Zuge seiner „Entwicklung zum Wirtschaftsfaktor“ zwischenzeitlich gegenüber zahlreichen Anspruchsgruppen zu verantworten. Initiativen der organisierten Fans sowie diverse Fangruppen in den Stadien kritisieren seit Längerem die zunehmende Entfremdung des Fußballs und der Fans. Der Profifußball lebe mittlerweile in seiner eigenen Blase, lautet der Vorwurf derer, deren Wirken rund um ihren (Lieblings-) Verein von den Vereinsvertretern zwar regelmäßig als „einzigartige deutsche Fankultur“ vermarktet wird, diese sich aber immer mehr vom System Profifußball ausgegrenzt fühlen. Ein spontaner Stadionbesuch ist für viele Familien eine finanzielle Herausforderung und Trainingseinheiten der Nationalmannschaft senden durch ihre Sicherheitsstandards das Signal aus, dass man sich durch das Beiwohnen der Fans gestört fühlen könnte. Aber auch in der Bundesliga sind die früher in Ausnahmefällen unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindenden Trainingseinheiten zur Normalität geworden. Die gemeinsame „Welle“ mit den Fans nach gewonnenen Spielen bleibt oft einzige Interaktion zwischen Fans und Profis. These: Der Profifußball verliert die Bindung zu breiten Teilen der Fans und der Gesellschaft. Wie lässt sich dies aufhalten?
Es wird abzuwarten sein, wie weit die Reformbemühungen in Anbetracht der unterschiedlichen Interessensgruppen wirklich gehen können. Der Fußball wird einen langen Atem brauchen, sein über lange Zeit erfolgreiches Geschäftsmodell im Hinblick auf Nachhaltigkeit, Akzeptanz in der Gesellschaft und Risikomanagement zu modernisieren. Zunächst sind aber in erster Linie die Clubs selbst gefragt, umsetzbare Maßnahmen zu entwickeln und ihr Risikomanagement anzupassen.
11.05.2020